Vertrauenskultur ↦ elementar oder entbehrlich? Drei Aspekte zur Bedeutung von Vertrauen für Unternehmen.

Im Mai war wieder Personalmesse in Stuttgart. Als regelmäßige Besucherin freute ich mich in diesem Jahr besonders auf den Keynotevortrag von Dr. Reinhard K. Sprenger, einem meiner „Gurus“ in Bezug auf Unternehmenführung. Und es war wie erwartet sehr inspirierend.

Sprenger verstand es, sein Vortragsthema „Vertrauen führt - weil es den Unterschied im Wettbewerb macht“ griffig und konkret für die reich versammelte Zuhörerschaft darzulegen und sprach sich klar für mehr Vertrauen in Unternehmen aus. Ich musste ihm da im Zuhören bei vielen Aussagen Recht geben. Seine Ausführungen waren nicht nur schlüssig, sondern in ihren Kerngedanken auch überraschend „einfach“.

(Hier finden Sie ein Video zu einem Interview, welches managerSeminare an diesem Tag mit Dr. Reinhard K. Sprenger zu diesem Thema geführt hat).

Ich habe den Impuls aufgenommen und mich mal  wieder neu und vertiefend mit dem Thema Vertrauen im Unternehmenskontext beschäftigt. Geleitet von der Frage „Was nützt Vertrauen Unternehmen?“ entstand dieser Artikel.

 

1.      Vertrauen und Kontrolle

Wenn man sich dem Thema zuwendet, fällt einem automatisch das alte Mantra „Vertrauen ist gut. Kontrolle ist besser“ ein. Oft haben wir es gehört - doch stimmt das (noch)? Kontrolle und Vertrauen schließen sich naturgemäß doch schon gegenseitig aus, oder?

Kontrolle suggeriert im Gegensatz zu Vertrauen: „Ich glaube nicht, dass du es richtig machen wirst, daher schaue ich lieber mal nach“. Kontrolle bremst so Entwicklung. Kontrollierte Mitarbeiter haben weniger Freiraum sich zu entfalten und bleiben so meist unter ihren Möglichkeiten. Und Kontrolle zieht weitere Kontrolle nach sich, denn wenn man hinschaut, findet man auch vermeintliche Fehler. Kontrolle bestätigt sich in ihrer Notwendigkeit also selbst. Und da sich somit viele Unternehmensprozesse mit Kontrolle beschäftigen, wird das Unternehmen langsamer. Und die Transaktionskosten steigen.

Doch lassen sich Unternehmen ohne Kontrolle überhaupt führen? Ist es nicht Aufgabe der Führung zu prüfen, was Mitarbeiter alles tun oder auch nicht? Es gibt zwischenzeitlich ein Vielzahl von Unternehmen, die das Gegenteil beweisen. Zum Beispiel junge Unternehmen aus digitalen Märkten sind erfolgreich - und das mit sehr flachen Strukturen, kaum klassischen Kontrollinstrumenten - aber ausgeprägten Vertrauenskulturen. Und um ein Beispiel aus meinem persönlichen Wirkungskreis zu nennen: auch in der Handelsfirma , die ich gemeinsam mit meinem Mann führe, ist es das gelebte Prinzip. Es prägt unsere Zusammenarbeit und lässt uns effektiv und innovativ arbeiten.

Ein wichtiger Aspekt zum Schluß, den man leicht übersieht. Vertrauen heißt nicht zwangsläufig 100 Prozent. Man muss einem Mitmenschen, dem man Vertrauen schenkt, nicht in allen Bereichen zu 100 Prozent vertrauen. Man kann sich durchaus dazu entscheiden zum Beispiel zu sagen: dieser Mitarbeiter ist ein Genie wenn es um Zahlen geht. Wenn er also die Budgetzahlen aufbereitet, vertraue ich darauf, dass sie richtig sind. Das bedeutet aber nicht, dass ich das gleiche Maß an Vertrauen schenke, wenn es um die professionelle und sichere Präsentation derselben vor der Geschäftsführung geht.  Sprenger hat in seinem Vortrag dafür das Bild eines Schiebereglers verwendet, der zwischen 100 Prozent Vertrauen und 100 Prozent Misstrauen einstellbar ist.

Bedeutung für Unternehmen:  Der Abbau von Kontrollmechanismen schafft Raum für Vertrauen. Mehr Vertrauen senkt Transaktionskosten.

Eine Umstellung geht jedoch nicht von heute auf morgen. Der Mitarbeiter kann nicht so schnell wechseln zwischen „Bis heute hab ich es dir nicht alleine zugetraut“ und „Ab heute vertraue ich darauf, dass du es alleine schaffst“. Ein schrittweises Vorgehen ist notwendig – und Sie müssen den ersten Schritt aus der sicheren Ich-kontrolliere-und-hab-alles-im-Griff-Zone wagen. Mehr dazu im nächsten Aspekt.

 

2.      Vertrauen und Sicherheit

Was man überprüft, weiß man sicher. Vertrauen ist nicht auf sicherem Wege möglich. Für Vertrauen braucht es Mut. Auf das Vertrauenskonto muss man erst einmal einzahlen. Und es wächst schneller, je mehr man einzahlt. Man muss dem anderen also erst mal einen Vorschuss geben, ohne zu wissen ob der diesen nicht nimmt und verspielt. Konkret bedeutet das zum Beispiel, einem Mitarbeiter eine Aufgabe zu geben, ohne sicher zu wissen, dass er das wirklich kann.  Vertrauen bedeutet auch, dass Sie ihm in der Umsetzung nicht ständig über die Schulter schauen, sondern darauf vertrauen, dass er kommt wenn er Fragen hat. Und Sie sollten die Erwartung an ein bestimmtes Ergebnis - nämlich das, welches Sie erreicht hätten - loslassen.

Vertrauen ist also nichts, was man erwarten darf. Vertrauen muss man geben. Und damit verlassen wir die sichere Zone. Wir lassen los und riskieren enttäuscht zu werden. Das ist der Preis. Denn natürlich muss der andere das Vertrauen, das wir in ihn setzen, nicht zwangsläufig auch rechtfertigen. Das Verlieren gehört dazu. Aber auch das schärft letztlich unser Gespür für die Zukunft. Wer niemals Vertrauen schenkt und damit das Risiko eingeht, enttäuscht zu werden, bleibt misstrauisch.

Und die Chancen, dass das Vertrauen erfüllt wird, stehen ja auch gar nicht so schlecht. Vertrauen in Menschen zu setzen erhöht die Chance, dass diese das Vertrauen rechtfertigen. Vertrauen wird als Geschenk wahrgenommen. Und aufgrund unserem tief verankerten Bedürfnis nach Reziprozität, also Wechselseitigkeit, wollen wir dem anderen dafür etwas zurückgeben. Und der beste Ausgleich besteht darin, das Vertrauen zu erfüllen.

Bedeutung für Unternehmen: Wenn die Führungskraft dem Mitarbeiter schwierige Aufgaben zutraut, fördert sie dessen Entwicklung. Nach dem sogenannten Pygmalion-Effekt entwickeln sich Menschen besser, wenn ihnen etwas zugetraut wird. Das bekannte „Man wächst an seinen Aufgaben“ trifft hier den Punkt.

Aus diesem Blickwinkel schafft Vertrauen einen Weg, Potentiale zu entwickeln und fürs Unternehmen nutzbar zu machen. Wichtig ist dabei, dass auch Fehlschläge erlaubt sein dürfen. Wenn der erste Rückschlag das Vertrauen erstickt oder noch schlimmer, es zu Misstrauen wandelt, hat man deutlich mehr verloren, als nur ein schlecht durchgeführtes Projekt.

 

3.      Vertrauen braucht Regeln

Lenkt man den Blick von der Vertrauensbeziehung zwischen Menschen in Unternehmen auf das gesamte System, stellt sich die Frage, was Bedingungen sind, innerhalb derer sich Vertrauen im System Unternehmen bilden kann. Ein Leitsatz im Sinne von „Wir gehen vertrauensvoll miteinander um“ ist da sicherlich nicht ausreichend.

Und jetzt kommt etwas, was Sie vermutlich überraschen wird: Vertrauen braucht Regeln - denn in willkürlichen Strukturen kann sich naturgemäß kein Vertrauen bilden. Wenn ein Mitarbeiter dem System vertrauen sollen, ist es wichtig, dass er weiß, nach welchen Vorgaben im Unternehmen entschieden und gehandelt wird. Vertrauenskulturen leben von einem klaren Regelwerk. Daraus erkennt der Einzelne auch seine Möglichkeiten, die er für einen Einspruch hat, falls er sich nachteilig behandelt fühlt. Damit kennt er sich aus und kann sich vertrauensvoll auf das System einlassen.

Dieses Regelwerk zur vertrauensvollen Zusammenarbeit gilt es konsequent zu schützen. Es ist wichtig, dass Verstöße dagegen geahndet werden. Hier ist ein klar definiertes Vorgehen hilfreich. Der Einzelne sollte zum Beispiel wissen, dass es beim ersten Verstoß zu einem Gespräch kommt, der zweite die deutliche Androhung der vorgesehenen Sanktion bedeutet und der dritte Verstoß zum Vollzug der derselben führt.

Bedeutung für Unternehmen: Wenn Vertrauen entstehen soll, braucht es einen klaren Rahmen innerhalb dessen sich die Beteiligten bewegen und auf den sie sich verlassen können. Jeder weiß so einzuschätzen, auf was er sich einlässt und kann entscheiden, ob er sich damit identifiziert.

Damit dies gelingt braucht es Mitarbeiter, die dieses Regelwerk akzeptieren und schützen. Mitarbeiter, die dazu nicht bereit sind, können der Vertrauenkultur schaden. Daher ist es Aufgabe der Führung bei neuen Mitarbeitern in den ersten Woche zu prüfen, ob diese die Kultur mittragen und stützen. Nicht immer passt das zusammen. Und da ist es manchmal besser, sich wieder zu trennen.

 

Es gibt sicherlich noch mehr zu diesem Thema zusagen. Mir war es wichtig, relevante Denkimpulse und Ansätze zu benennen. Nehmen Sie einen Impuls mit? Dann verfolgen Sie diesen weiter. Bedenken Sie dabei: Änderungen brauchen Zeit. Fangen Sie an einem Punkt an und bleiben Sie dran. Und wenn Sie an Grenzen stoßen, holen Sie sich Rat und Unterstützung von Außen.

Viel Erfolg - Ihre Tanja Remmel